Der 20. Hamburger Ratschlag Stadtteilkultur 2019 zu „Wo sind unsere Grenzen der Toleranz?“

Einrichtungen und Initiativen der Stadtteilkultur stehen für eine große gesellschaftliche Offenheit. Immer wieder aber stellen die Handelnden fest, dass versucht wird, diese Offenheit auszunutzen. Damit setzte sich der 20. Hamburger Ratschlag Stadtteilkultur auseinander.

Fotos: Miguel Ferraz

Wie soll sich die Hamburger Stadtteilkultur verhalten gegenüber Personen und Organisationen, die ihre Offenheit nutzen wollen, um eigene geschlossene Gesellschaftsbilder zu reproduzieren? Wo sind dabei ihre Grenzen der Toleranz? Wie kann sie sich gegen extremistische Übergriffe wehren, die es auch in Hamburg gegeben hat? Und welche Unterstützung braucht die Stadtteilkultur, um ihre Aufgabe des gesellschaftlichen Zusammenhalts durch Kultur zu erfüllen und sich gegen Extremisten und Populisten zu behaupten? Diese Fragen behandelte der Ratschlag gemeinsam mit über 120 Teilnehmer*innen im Stadtteilkulturzentrum Eidelstedter Bürgerhaus unter dem Titel „Wo sind unsere Grenzen der Toleranz?“ und sprach damit ein aktuelles Thema an, das viele Menschen beschäftigt, die in der Kultur arbeiten oder sich für die Kultur engagieren.

„Immer mehr kulturelle Einrichtungen sind heute einem erhöhten populistischen Druck ausgesetzt, der auch zunehmend die Alltagssituation dort beeinflusst. Hier ist es richtig und wichtig, dass die Einrichtungen mit dem gemeinsamen Ratschlag Strategien entwickeln, wie sie damit umgehen, und dass wir uns als offene Gesellschaft diesen Tendenzen deutlich entgegenstellen. Stadtteilkulturzentren sind Orte der Kunst und der Kultur und bieten Raum für Diversität, für Unterschiede und für die Auseinandersetzung damit. Allen Tendenzen, die diese Vielfalt und Freiheit einschränken wollen, müssen wir daher entgegen treten.“

Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien
Dr. Carsten Brosda hält seine Keynote zur Kultur der offenen Gesellschaft, Foto: Miguel Ferraz

Impulse für die Diskussion gaben zwei Keynotes, darunter ein Beitrag des Senators für Kultur und Medien, Dr. Carsten Brosda. Vor dem Hintergrund zunehmender populistischer und nationalistischer Ansichten brauche es eine starke und freie Kultur, die Diskursräume öffnet und Begegnungen ermöglicht, so der Standpunkt von Carsten Brosda. Er sprach über die Möglichkeiten von Politik und Kultureinrichtungen in diesem Prozess.

Die Politikwissenschaftlerin Carina Book erläutert den Kulturbegriff der Neuen Rechten, Foto: Miguel Ferraz

Die Keynote von Carina Book, Politikwissenschaftlerin und Referentin in der Politischen Bildung, beschäftigte sich mit dem Kulturbegriff der Neuen Rechten und analysierte dessen Konsequenzen. Die dritte Keynote von Prof. Dr. Dierk Borstel, Professor für praxisorientierte Politikwissenschaften an der Fachhochschule Dortmund, zu „Ideologien der Ungleichwertigkeit in der Einwanderungsgesellschaft“ musste wegen Krankheit leider ausfallen. Sein Artikel „Neue Formen der Demokratiegefährdungen in einer vielfältigen Gesellschaft“, der im Januar im stadtkultur magazin veröffentlicht wird, wurde verlesen.

Verschiedene Sessions zu unterschiedlichen Aspekten im Themenfeld ergänzten das Programm. Im Workshop vom Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus und von empower ging es um rechte Strukturen, aber vor allem auch um die Handlungsspielräume von Einrichtungen und deren Mitarbeiter*innen. Katja Scheer vom Bürgerhaus Wilhelmsburg berichtete in ihrer Session von den wiederholten Versuchen der AfD, das Bürgerhaus Wilhelmsburg für Parteitage zu nutzen. Jan Gröschel von der Kanzlei Hammerstein lieferte die entsprechenden rechtlichen Hintergrundinformationen dazu und stellte sich den zahlreichen Fragen der Teilnehmenden.

Corinne Eichner stellt die Sessions des 20. Ratschlags vor, Foto: Miguel Ferraz

Michael Gerland und Ulf Brennecke von der Beratungsstelle Legato erläuterten, wie sich religiöse Radikalisierung im Sozialraum äußert, welche Veränderungen es diesbezüglich in der jüngsten Vergangenheit gab und wie sich damit umgehen lässt. Dr. Sigrid Curth von der Geschichtswerkstatt Wandsbek zeigte beispielhaft anhand des Geschichtssteins und des Husarendenkmal in Wandsbek, wie Auseinandersetzungen um die Interpretation des lokalen Erbes geführt werden können.

Awista Gardi, die beispielhaft Erfahrungen Studierender an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg untersucht hat, behandelte in ihrer Session den alltäglichen Rassismus: Rassismus gäbe es überall, so Gardi, er sei tief verwurzelt und tritt mitunter auf so subtile Art und Weise auf, dass er oft nur den Betroffenen zu Bewusstsein komme. Gregor Schulz vom Institut für konstruktive Konfliktaustragung und Mediation zeigte in seinem Workshop, wie wir mit fremdenfeindlichen, frauenfeindlichen, homosexuellenfeindlichen und behindertenfeindlichen Äußerungen im Alltag besser umgehen können. Eine weitere Arbeitsgruppe diskutierte die Chance und Möglichkeit des Netzwerks DIE VIELEN. Die Ergebnisse werden Mitte November auf den Ratschlag DER VIELEN mitgenommen.

Den Abschluss bildete eine Diskussion des Publikums mit Carina Book, der Geschäftsführerin des Bürgerhauses Wilhelmsburg Katja Scheer und dem Regisseur und Essayisten Dan Thy Nguyen, über die Frage, ob es Toleranz auch für die Feinde der Toleranz geben kann. Michael Weidemann moderierte die lebhafte Debatte, bei der sich Publikum und Podiumsteilnehmende intensiv mit dem Thema auseinandersetzten. Mit Musik des Lutopia Orchesters klang der Abend aus.

Das Lutopia Orchestra „rockt“ das Haus, Foto: Miguel Ferraz

Der 20. Hamburger Ratschlag Stadtteilkultur wurde von STADTKULTUR HAMBURG in Kooperation mit dem Landesrat für Stadtteilkultur an der Behörde für Kultur und Medien veranstaltet.

Über den Hamburger Ratschlag Stadtteilkultur

Der Hamburger Ratschlag Stadtteilkultur widmet sich seit 20 Jahren aktuellen kulturellen und gesellschaftspolitischen Themen und präsentiert die Vielfalt und Praxis der Hamburger Stadtteil- und Soziokultur. Persönliche Kontakte zu Fachleuten aus Theorie und Praxis liefern Denkanstöße und Hintergrundinformationen für die praktische und kulturpolitische Arbeit.

Seit 2018 ist STADTKULTUR HAMBURG – der Dachverband für Lokale Kultur und Kulturelle Bildung – für die Durchführung des Ratschlags Stadtteilkultur verantwortlich und entwickelt die bundesweit ausgerichtete Konferenz weiter. Die Inhalte des Ratschlages werden gemeinsam mit dem Landesrat für Stadtteilkultur der Behörde für Kultur und Medien entwickelt. Der Ratschlag wurde vom Landesrat im Jahr 2000 ins Leben gerufen und findet seitdem alljährlich an verschiedenen Orten der Kultur und Bildung in Hamburg statt.

Der Hamburger Ratschlag Stadtteilkultur wird gefördert von der Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg.

Mehr zum Hamburger Ratschlag Stadtteilkultur im Netz: www.ratschlag-hh.de

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